Die Aufregung war groß, als der neue Außenminister Johann Wadephul am Donnerstag in Antalya fast beiläufig erwähnte, dass Deutschland die Forderung der USA erfüllen werde, künftig 5% seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. In Berlin war man über die Wadephul-Volte nicht erfreut. Aus Regierungskreisen wurde umgehend die Botschaft verbreitet, dies sei mit dem Bundeskanzler nicht abgesprochen gewesen. Das neue Nato-Ziel werde auf dem Treffen der Regierungschefs Ende Juni in Den Haag festgelegt, hieß es. Bis dahin werde man von Friedrich Merz keine konkrete Zahl hören. Bei den Sozialdemokraten, die erkennbar immer noch mit ihrem neuen Koalitionspartner hadern, löste Wadephuls Ansage erst Unglauben, dann Verärgerung aus. Er rate jedem der Beteiligten, sich an den Koalitionsvertrag zu halten, bescheinigte Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil dem CDU-Mann kühl. Erstaunlich ist jedoch, dass ausgerechnet jemand wie Wadephul seinem Chef derart in die Parade fuhr. Der kühle Norddeutsche gilt gemeinhin als enger und loyaler Vertrauter von Merz. Dies war mutmaßlich auch der Hauptgrund, warum er diesen Posten überhaupt erhalten hat. Johann Wadephul, Außenminister. Foto: Neil Hall/EPA Merz, der die Außenpolitik erkennbar zum Schwerpunkt seiner Kanzlerschaft machen will, wollte jemanden im Auswärtigen Amt haben, der — anders als die grüne Vorgängerin Annalena Baerbock — keine eigene Agenda verfolgt und dem Kanzler keinen Ärger macht. Und ausgerechnet dieser Wadephul, dessen Namen die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts aus Unkenntnis oder Bosheit auf Pressemitteilungen mehrfach falsch geschrieben haben, bereitet Merz bereits nach einer Woche Probleme. Es wäre nicht der erste Lapsus dieser noch so jungen Regierung, die zwar wenig Euphorie, dafür aber schon einige Verwirrung gestiftet hat. Das fing an mit der neuen Kommunikationslinie beim Taurus (einfach nicht mehr darüber sprechen), dem unabgesprochenen Beamtenrenten-Vorstoß von Arbeitsministerin Bärbel Bas und der Merz-Attacke auf das EU-Lieferkettengesetz. Doch möglicherweise steckt hinter diesen vermeintlichen Kommunikationspannen auch ein gewisses System. Union und SPD befinden sich erkennbar noch in der Phase, in der man gegenseitig die Grenzen auslotet. Im Grunde geht es um die Frage: Wie weit kann ich gehen, bevor mein Partner ausrastet? Es ist ein Machtspiel, das man auch aus zwischenmenschlichen Beziehungen kennt. In der neuen Koalition, die erkennbar keine Liebesheirat war und die sich mangels eines schöneren Namens eher lieblos “Arbeitskoalition” nennt, ist die Toleranzschwelle für Fehlverhalten offenbar sehr niedrig. Manchmal reicht offenbar schon ein schiefer Blick. Wenn dann jemand das Nato-Ziel quasi aus dem Nichts auf 5% hochjazzt, was Verteidigungsausgaben von rund 225 Milliarden Euro bedeuten würde, dann ist die allgemeine Aufregung natürlich riesig. Auch wenn der Kanzler seinen eigentlich sonst so besonnenen Minister schnell wieder eingefangen hat. Die 5% stehen jetzt trotzdem im Raum und werden mutmaßlich den Nato-Gipfel in Den Haag dominieren. Der Merz-Vertraute Wadephul hat seinem Chef damit nur scheinbar einen Bärendienst erwiesen. Denn Merz selbst hat gerade die Parole ausgegeben, dass die Bundeswehr die stärkste konventionelle Armee Europas werden soll, was sicher einiges kosten wird. Vielleicht sogar 5% des deutschen BIP. Möglicherweise folgt Merz auch hier der neuen Prämisse der strategischen Ambiguität, die er sich bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron abgeschaut hat. Anstatt lange Diskussionen über Zahlen oder Waffentypen zu führen, senden Merz und seine Vertrauten unterschiedliche Signale mit dem Ziel, den Gegner zu verwirren und schon einmal Pflöcke einzuschlagen, die man dann zur Not schnell wieder abräumt. Es ist eine Strategie, die Donald Trump zu einer neuen Kunstform der politischen Kommunikation erhoben hat. Man sagt heute das eine und morgen das andere. Übermorgen kommt es dann ganz anders, als alle gedacht hatten. So hat das deutsche Schauspiel um die 5% am Ende nicht nur für Merz etwas Positives, indem es eine Duftmarke für den anstehenden Nato-Gipfel setzte. Auch für Wadephul hat das Ganze trotz des ganzen Geschreis einen angenehmen Nebeneffekt. Seinen Namen wird man so schnell nicht mehr falsch schreiben. Lesen Sie auch eine Auswahl unserer Artikel dieser Woche: Niemand sicher, heimlicher Diamantenverkauf, Abwägungen, Immobilien-Belebung und Chinas tickende Zeitbombe. |