Die schwarz-rote Koalition hatte sich eigentlich viel vorgenommen für den Herbst. Nach dem verstolperten Start bei der Kanzlerwahl im Mai und dem Fiasko um die Richterinnenwahl vor der Sommerpause hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen “Herbst der Reformen” versprochen. Und da Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz sich diese Wortwahl zunächst zu eigen machte, wurden mit der Überschrift schnell Erwartungen geweckt, die sich nun nur noch schwer einfangen lassen. Zu gering fallen dafür die erhofften Einsparungen beim Arbeitslosengeld durch die vereinbarte Reform des Bürgergelds aus. Zu kleinteilig fallen dafür die Pläne zur Verringerung von Bürokratie im föderalen Dickicht der Bundesrepublik aus. Und zu widersprüchlich fallen dafür die Äußerungen von Spitzenpolitikern aus zu Themen wie dem Aus für das Verbrenneraus, der Freiwilligkeit beim neuen Wehrdienst oder der Zukunft des Rentensystems. Es ist schon bemerkenswert, dass bei zwei zentralen Vorhaben dieser Koalition — nämlich der Rentenreform und der Wehrdienstreform — zahlreiche Abgordnete offen gegen Kompromisse der Partei- und Fraktionsspitzen rebellieren. Müssen den Laden zusammenhalten: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), links, und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD). Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg “Das Rentenpaket trägt nicht nur die Handschrift, sondern auch die Unterschrift aller Koalitionspartner — von CDU, CSU und SPD”, mahnte Arbeitsministerin Bärbel Bas im Bundestag. Dies sei im Koalitionsvertrag festgeschrieben, im Koalitionsausschuss erneut geeint und im Kabinett beschlossen worden. “Und das muss jetzt auch gelten”, fügte die Co-Vorsitzende der SPD halb warnend, halb flehend hinzu. Anlass war eine Revolte von 18 jungen Unionsabgeordneten, darunter ein Enkel von Altkanzler Helmut Kohl, dem von Merz und Bas persönlich beschlossenen Kompromiss zur Rentenreform nicht zuzustimmen. Und das ist ein Problem, verfügt die Koalition im Bundestag doch nur über eine Mehrheit von gerade einmal 12 Stimmen. Allzu viele Abweichler kann sich das Bündnis daher bei keiner Entscheidung leisten. Gleichzeitig scheiterten Union und SPD bei ihrem Versuch im Parlament, den Wehrdienst-Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) noch vor dessen erster Lesung im Bundestag anzupassen und durch ein Pflichtelement in Form eines Losverfahrens zu ergänzen. Hinter verschlossener Tür soll Pistorius den Vorschlag als “faulen Kompromiss” zerrissen haben. Und so wird immer mehr Beobachtern, aber auch Akteuren dieser Regierung klar: Nicht einmal sechs Monate nach Amtsantritt ist die Zündschnur bei vielen in der Koalition bereits gefährlich kurz geworden. Und über die Zukunft dieses Regierungsbündnisses wird nicht im Kanzleramt oder im Bendlerblock entschieden, sondern in den Fraktionen. Lesen Sie auch eine Auswahl unserer Artikel dieser Woche: Verkannte Gefahr, bröckelndes Vertrauen, Robotik-Rücklicht, Cash-Kicker und Moskauer Machtverlust. |